Reichsbürgerrechte gehen vor den Rechten deutscher Staatsangehörige ab 1934 – Zusammenfassung

Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre [“Nürnberger Gesetze”], 15. September 1935, und die beiden ersten Ausführungsbestimmungen, 14. November 1935

Zusammenfassung

Die sogenannten “Nürnberger Gesetze” vom 15. September 1935, proklamiert am Ende des jährlich in Nürnberg abgehaltenen NSDAP-Parteitages, bildeten die juristische Grundlage der innerstaatlichen Ausgrenzung aller Deutschen, die fortan unter den Judenbegriff fielen. Das “REICHSBüRGERGESETZ” beendete die staatsrechtliche Gleichheit der deutschen Bürger, indem es zwei neue – de facto nie umgesetzte Kategorien schuf: den “Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes” (“deutschblütig”) sowie den “Reichsbürger”, dem allein die vollen politischen Rechte zustehen würden. Das “Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” setzte – unausgesprochen – die Zivilehe außer Kraft, und zwar durch die indirekte Einführung eines jüdischen Personenstandes, auf dem das Verbot von Eheschließung sowie außerehelicher Sexualität (“Rassenschande”) mit “Deutschblütigen” basierte. Über das Verbot für Juden, die Reichsflagge zu zeigen, war das “Blutschutzgesetz” mit dem zeitgleich verkündeten “Reichsflaggengesetz” verbunden. Erst die beiden Verordnungen vom 14. November 1935 reichten einen Gesetzesinhalt nach, der das ungeheuerliche Rassenrecht in bürokratische Praxis ‘übersetzte’: Die 1. Verordnung zum “REICHSBüRGERGESETZ” kodifizierte einen genealogisch abgeleiteten, graduellen Judenbegriff (§ 5). “Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt”, “jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt” (§ 2). Der Beweis des “Volljüdischen” für die Klassifizierung als “Jude” lief über die jüdische Religion der Großelternteile, unbeachtet der Tatsache, ob die betroffene Person Jude, Christ oder Atheist war. Bei der Einstufung als “jüdischer Mischling” dagegen waren faktische Kriterien ausschlaggebend, sofern er “ersten Grades” war (sog. “Halbjude”, d. h. “zwei … volljüdische Großeltern”): Gehörte er der “jüdischen Religionsgemeinschaft” an oder war er mit einem “Juden” verheiratet oder durch “Rassenschande” gezeugt worden, galt für ihn ebenfalls der Judenbegriff (sog. “Geltungsjude”). Da “Juden” nicht “Reichsbürger” werden durften, waren sie politisch entrechtet, insbesondere war ihnen die Ausübung eines “öffentlichen Amtes” untersagt (§ 4). Die Forderung des NSDAP-Parteiprogramms von 1920, den “Juden” die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wurde allerdings am 14. November 1935 nicht umgesetzt.

Die 1. Verordnung zum “Blutschutzgesetz” bestimmte die Reichweite des neuen Ehehindernisses im Hinblick auf die zukünftige Generation. Für die “jüdischen Mischlinge”, die insgesamt wie die “Deutschblütigen” zu den (potentiellen) “Reichsbürgern” gehörten, wurden zwischen Verbot, Sollvorschrift und Möglichkeit changierende Heiratsvorschriften formuliert, eben um den juristischen Unterschied zum elementaren Eheverbot zwischen “Deutschblütigen” und “Juden” zu erhalten. Das Projekt einer räumlichen “Lösung der Judenfrage” enthielten die “Nürnberger Gesetze” sowie ihre Folge-Verordnungen nicht.

Übersicht zu den Reichsbürgergesetzen, die von der BRD mit der Gründung angenommen wurden.

Das Reichsbürgergesetz brach mit der Rechtsgleichheit der deutschen Bürger; es unterschied zwischen dem vollberechtigten „Reichsbürger“, dem allein die vollen politischen Rechte zustehen, und dem ‚einfachen‘ Staatsangehörigen:

  • Ein Staatsangehöriger gehört dem Schutzverband des Deutschen Reiches an und ist diesem „besonders verpflichtet“.
  • Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der vollen politischen Rechte „nach Maßgabe der Gesetze“. Dieser muss Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein (objektiver Maßstab). Er muss überdies durch sein Verhalten beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“ (subjektiver Maßstab). Das „Reichsbürgerrecht“ sollte durch einen Reichsbürgerbrief verliehen (verschriftlicht) werden.

Die Rechtssetzung auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung differenzierte allerdings zwischen 1935 und 1943 noch weiter, so dass es zum Zeitpunkt der Aufhebung des Reichsbürgergesetzes 1945 fünf verschiedene Kategorien gab:

  1. Reichsbürger (und damit gleichzeitig Staatsangehörige),
  2. (einfache) Staatsangehörige,
  3. Staatsbürger auf Widerruf,
  4. Schutzangehörige des Deutschen Reiches (fremdvölkische Einwohner der eingegliederten Gebiete, z. B. Protektoratsangehörige),
  5. ohne Rechtsstatus (z. B. Juden und „Zigeuner“ in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten).

Reichsbürgergesetz

Erste Verordnung vom 14. November 1935

Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935: „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“

In der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz (Text siehe Weblink) wird allen deutschblütigen Staatsangehörigen bis zu einer angekündigten endgültigen Regelung – zu der es niemals kam – eine vorläufige Reichsbürgerschaft zuerkannt. Auch „jüdischen Mischlingen“ wurden vorerst die politischen Rechte als Reichsbürger eingeräumt.

In dieser Verordnung wurde grundlegend festgelegt, wer im Deutschen Reich als Jude beziehungsweise als „jüdischer Mischling“ zu gelten hatte. Mangels eines nachweisbaren Merkmals wurde die Religionszugehörigkeit der Vorfahren zum Kriterium herangezogen, um jemanden einer vermeintlich existierenden „jüdischen Rasse“ zuzurechnen:

  • „Juden“ („Volljuden“) waren Personen, von deren Großeltern drei oder vier „der Rasse nachjüdisch waren.
  • Als „jüdischer Mischling“ wurde bezeichnet, „wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammt“, aber keine weitere Bindung an das Judentum hatte.

Um zu bestimmen, ob die Großeltern „der Rasse nach“ Juden waren, hätte man auf die Generation der Urgroßeltern zurückgreifen müssen, was in der Praxis zu einem kaum durchführbaren Erforschungsaufwand geführt hätte. Daher galt ein Großelternteil ohne Weiteres als „volljüdisch“, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Dies konnte bedeuten, dass ein „deutschblütiger“ Großelternteil, der in eine jüdische Familie eingeheiratet und sich der jüdischen Kultusgemeinde angeschlossen hatte, im Ariernachweis „der Rasse nach“ als Jude zählte.

Als Jude galt auch eine Person, die „der Rasse nach“ zwei jüdische Großeltern hatte und

  • der jüdischen Religionsgemeinschaft noch angehörte oder von ihr nach Erlass des Gesetzes aufgenommen wird;
  • mit einem Juden verheiratet war oder nach Erlass des Gesetzes einen Juden heiratet;
  • aus einer Ehe mit einem Juden stammte, die nach dem 15. September 1935 geschlossen wurde, oder
  • ein von einem Juden abstammendes außereheliches Kind war, welches nach dem 31. Juli 1936 geboren wurde.

„Jüdische Mischlinge“, die durch diese zusätzlichen Merkmale als „Volljuden“ galten, wurden auch als „Geltungsjuden“ bezeichnet.

Da für die Eigenschaft als Jude nun doch nichtrassische Merkmale, wie das religiöse Bekenntnis der Großeltern, das eigene religiöse Bekenntnis oder rechtsgeschäftliche Willenserklärungen, (mit) maßgeblich waren, war die Verordnung selbst für diejenigen widersprüchlich, die sich auf den Boden der NS-Weltanschauung stellten. Ferner war in dieser Verordnung festgelegt, dass alle „Juden“ im Sinne dieser Definition zum 31. Dezember 1935 als Beamte in den Ruhestand traten. Bis dahin hatten nach einer Ausnahmebestimmung in § 3 Absatz 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ein unerwartet hoher Teil der „Nichtarier“ im Beamtenstatus verbleiben können, die sich auf das Frontkämpferprivileg berufen konnten.

Als notwendige Folge, dass „Juden“ niemals Reichsbürger sein können (§ 4 Abs. 1 der Verordnung), mussten nach Absatz 2 alle jüdischen Beamten zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand treten.

Drei weitere Verordnungen beziehen sich auf die „Erste Verordnung“ und ändern oder ergänzen diese lediglich um einen Punkt. Die „Zweite Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1935) definiert umfassend, welche Personengruppen in den Ruhestand zu versetzen waren. Mit der „Siebenten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1938) wurden die Bestimmungen der Ersten Reichsbürgerverordnung aufgehoben, nach denen in den Ruhestand getretene jüdische Beamte bis zum Erreichen der Altersgrenze die vollen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge beziehungsweise das Wartegeld erhielten. Gleichzeitig wurden diese Ruhestandsbezüge reduziert. In der „Neunten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1939) wurde „jüdischen Mischlingen“ aus der Ostmark zugestanden, dass sie nicht mit einem Juden verheiratet seien, wenn die Eheleute nach dem österreichischen Ehegesetz vom 6. Juli 1938 bis zur Bekanntmachung des Reichsbürgergesetzes nur von Tisch und Bett ohne Auflösung des Ehebandes getrennt waren und sich seitdem nicht wieder verheiratet hatten.

Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 14.11.1935

Zweite Verordnung vom 21. Dezember 1935

Die Zweite Verordnung stellt in erster Linie eine Konkretisierung des § 4 der Ersten Verordnung dar. Neu ist, dass § 4 Abs. 1 der Ersten Verordnung auch für die Stellung als leitender Arzt an öffentlichen sowie freien gemeinnützigen Krankenanstalten und als Vertrauensarzt galt. Sie traten zum 31. Dezember 1936 in den Ruhestand.

Diese Verordnung wurde in Österreich nicht kundgemacht. An ihre Stelle trat dort die Verordnung zur Neuordnung des Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938.

Dritte Verordnung vom 14. Juni 1938

In einer „Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurde definiert, welche Gewerbebetriebe als „jüdisch“ zu gelten hatten. Diese sollten in ein gesondertes Verzeichnis eingetragen werden, das der Öffentlichkeit zugänglich war. Der Reichswirtschaftsminister wurde zu einer Regelung im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und dem Stellvertreter des Führers ermächtigt, dass Betriebe von „einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab“ ein besonderes Kennzeichen führen mussten.

Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 14.06.1938

Vierte Verordnung vom 25. Juli 1938

Nach dem Erlass der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten mit Wirkung vom 30. September 1938 an die Approbation entzogen. Ebenso konnte kein Jude mehr eine Approbation erhalten. Dienstverträge mit jüdischen Ärzten waren zum 31. Dezember 1938 kündbar, auch wenn dieses erst für später vorgesehen oder möglich war. Mietverträge über Räume, die der Arzt für sich, seine Familie oder für seine Berufsausübung gemietet hatte, waren ebenfalls zum 30. September 1938 aufzulösen.

Von den 3.152 noch praktizierenden jüdischen Ärzten erhielten auf der Grundlage dieser Verordnung 709 eine „widerrufliche Genehmigung“, als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten tätig zu sein. Damit waren von den 1933 rund 9.000 praktizierenden jüdischen Ärzten nur noch weniger als zehn Prozent zugelassen. Mindestens 5.000 emigrierten, etwa 1.500 wurden deportiert.

Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.07.1938

Fünfte Verordnung vom 27. September 1938

Durch die „Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 27. September 1938 wurde jüdischen Rechtsanwälten, die gemäß einer Ausnahmeregelung im Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach 1933 noch weiter tätig sein durften, im Altreich zum 30. November 1938 und im Lande Österreich zum 31. Dezember 1938 die Zulassung entzogen. Lediglich bei in Wien zugelassenen Rechtsanwälten, die seit mindestens 50 Jahren in Österreich ansässig und ehemalige Frontkämpfer waren, konnte von der Löschung vorläufig abgesehen werden. Jedoch war diese Löschung jederzeit möglich und bis dahin bestand die Möglichkeit des Verbots der Berufsausübung. Die Verordnung regelte die Kündigung von Dienst- und Mietverträgen, die damit im Zusammenhang standen.

Eine rechtsberatende Tätigkeit war jüdischen Juristen bereits seit 1935 untersagt. Zur Vertretung und rechtlichen Beratung jüdischer Klienten wurden 1938 einige „Konsulenten“ zugelassen. Von den derweil noch zugelassenen 1.753 jüdischen Rechtsanwälten durften nur 172 als Konsulenten tätig sein. Diese Tätigkeit war auf Widerruf oder auf Zeit befristet und die Konsulenten unterstanden der Aufsicht der Justizverwaltung.

Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 27.09.1938

Sechste Verordnung vom 31. Oktober 1938

Mit der „Sechsten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 31. Oktober 1938 wurde Juden die Betätigung als Patentanwalt untersagt. Die Verordnung regelte ebenfalls die Kündigung von Dienst- und Mietverträgen, die damit im Zusammenhang standen.

Siebente Verordnung vom 5. Dezember 1938

Die noch auf der Grundlage des „Frontkämpferprivilegs“ fortgezahlten vollen Bezüge der auf Grund der Ersten Verordnung in den Ruhestand versetzten Beamten wurden durch diese Verordnung ab dem 1. Januar 1939 auf das allgemeine Ruhegehalt eingekürzt.

Die siebte Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde in der Ostmark zwar kundgemacht, war aber nicht anzuwenden.

Achte Verordnung vom 17. Januar 1939

Durch die „Achte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 17. Januar 1939 wurde jüdischen Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern die Berufsausübung mit Wirkung vom 31. Januar 1939 verboten, womit das gesamte Feld der Heilkunde nunmehr Juden verschlossen war. Lediglich als Hilfskräfte für eine Tätigkeit an Juden oder an jüdischen Krankenanstalten durften sie weiter tätig sein. Wenige Zahnärzte und Dentisten bzw. Zahntechniker, denen die weitere Ausübung des Berufes widerruflich gestattet wurde, durften Ehefrau, Kinder und ansonsten nur Juden behandeln. Auch diese Verordnung regelte zusätzlich die Kündigung von entsprechenden Dienst- und Mietverträgen.

Neunte Verordnung vom 5. Mai 1939

In der „Neunten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 5. Mai 1939 wurde „jüdischen Mischlingen“ aus der Ostmark zugebilligt, dass sie nicht mit einem Juden verheiratet seien, wenn die Ehe bis zur Bekanntmachung des Reichsbürgergesetzes (16. September 1935) entsprechend dem geltenden österreichischen Eherecht nicht dem Bande nach getrennt werden konnte, sondern nur von Tisch und Bett geschieden war, sofern keine neuerliche Ehe eingegangen wurde.

Zehnte Verordnung vom 4. Juli 1939

Einschneidende Veränderung brachte die „Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“. Sie begründete die Zwangsmitgliedschaft in der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, die als verlängerter Arm des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) wirkte und später bei der Durchführung der Deportationen eine unrühmliche Helferrolle spielte.

Die Reichsvereinigung hatte die Auswanderung zu fördern und musste eine Vermögensabgabe erheben, um mittellosen Auswanderern ein Vorzeigegeld aushändigen zu können. Die Reichsvereinigung war des Weiteren verpflichtet, für die Beschulung der Juden zu sorgen. Als Träger der jüdischen Wohlfahrtspflege hatte sie hilfsbedürftige Juden so ausreichend zu unterstützen, dass die öffentliche Fürsorge nicht einzutreten brauchte. Dies war aus Beiträgen und Spenden der verarmten und überalterten jüdischen Gemeinde zu finanzieren; ab 1941 steuerte das RSHA Finanzmittel aus beschlagnahmtem Vermögen der deportierten Juden bei.

Die zehnte Verordnung wurde in der Ostmark nicht kundgemacht.

Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 04.07.1939

Elfte Verordnung vom 25. November 1941

Ein Jude verlor nunmehr „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörigkeit. Dies bedeutete, dass auf diese Weise allen bereits ins Ausland übersiedelten deutschen Juden – nachträglich – ihre Staatsangehörigkeit entzogen wurde, was ca. 250.000 bis 280.000 emigrierte Juden betraf. Die Verordnung bestimmte aber auch, dass dies für spätere Wohnsitzverlegungen gelte. Nachdem auf Befehl Heinrich Himmlers am 18. Oktober 1941 den Juden die Auswanderung verboten worden war, entsprach dies nur noch dem Vorgang der Deportation.

Offensichtlich hatte die „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ für die Arisierung (Entjudung) auch den Zweck, bei der anstehenden Deportation der deutschen Juden den verbliebenen Rest ihres Vermögens an den NS-Staat zu bringen, ohne eine vordem übliche Einzelfallentscheidung durchführen zu müssen: „Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich. […] Das verfallene Vermögen soll zur Förderung aller mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehenden Zwecke dienen.“ Auch Vererbungen und Schenkungen wurden verboten. Sofern auf diesem Vermögen allerdings Verbindlichkeiten wie Unterhaltsansprüche, Schulden und Ähnliches lagen, wurden diese vom Reich nicht übernommen und wurden auch nicht teilweise durch den Wert des entzogenen Vermögens ausgeglichen.

Da viele Deportationszüge ins Generalgouvernement, ins Reichskommissariat Ostland oder das Reichskommissariat Ukraine führen sollten, die reichsrechtlich nicht als Ausland galten, wurden diese Zielgebiete durch Runderlass des Reichsministers des Innern vom 3. Dezember 1941 als „Ausland im Sinne der Elften Verordnung“ eingestuft.

Vor diesem Datum wurde eine Einzelfallentscheidung als förmlicher Verwaltungsakt durchgeführt, der später nur noch für staatenlose Juden und bei Deportationen ins „Altersghetto Theresienstadt“ in Anwendung kam: Diesen Juden wurde im Sammellager durch einen Gerichtsvollzieher eine Urkunde zugestellt, nach der ihr gesamtes Eigentum als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ eingezogen wurde. Aus dem in einer derartigen Verfügung benannten bereits 1933 erlassenen Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens und einem Erlass vom 29. Mai 1941 lassen sich allerdings weder vom Wortlaut noch vom Wortsinn her eine Begründung für den Vermögensentzug ableiten.

Der Unrechtsgehalt der Elften Verordnung ist „ohne weiteres offensichtlich“: Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit nach erfolgter Deportation, Verlust des Vermögens und das Ruhen von Pensionsansprüchen. Nach Beurteilung von Uwe Dietrich Adam schaffte diese Verordnung jedoch „kein umwälzendes neues ‚Recht‘“, sondern normierte beim Griff nach dem jüdischen Vermögen nur die faktisch bestehende Lage und stellte somit eine Verwaltungsvereinfachung dar. Die im Reich lebenden Juden blieben – entgegen den ursprünglichen Planungen – von den Bestimmungen über den Vermögensverfall verschont.

Nach Art. 116 Abs. 2 GG werden Personen, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden war, auf ihren Antrag wieder eingebürgert. Das Bundesverfassungsgericht erachtete im Beschluss vom 14. Februar 1968 die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz als unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit und sah sie als von Anfang an nichtig an.

Die aus der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz resultierende de jure-Staatenlosigkeit wird als gänzlich unstrittig angesehen. Juden, die gegen Kriegsende aus einem der im Ausland gelegenen Konzentrations- oder Vernichtungslager befreit wurden, erfüllten die Voraussetzungen einer staatenlosen Displaced Person.

Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.11.1941

Zwölfte Verordnung vom 25. April 1943

Mit der „Zwölften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurden eine deutsche „Staatsangehörigkeit auf Widerruf“ und ein Rechtsstatus „Schutzangehöriger des Deutschen Reiches“ eingeführt. Es gab damit vier Kategorien mit unterschiedlichem Rechtsstatus:

  1. Reichsbürger
  2. Staatsangehöriger
  3. Staatsangehöriger auf Widerruf
  4. Schutzanghörige, die nicht Staatsangehörige sein konnten

Zigeuner“ und Juden (auch „Halbjuden“) konnten weder Staatsangehörige auf Widerruf noch Schutzangehörige sein bzw. werden. Das betraf faktisch Kinder von Juden oder Zigeunern, die nach dem 30. April 1943, dem Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung, geboren wurden. Entgegen gelegentlich in der Literatur zu findenden Behauptungen verloren Juden oder „Zigeuner“, die die deutsche Staatsangehörigkeit noch besaßen, diese durch die 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz nicht.

Zu „Staatsangehörigkeit auf Widerruf“ und „Schutzangehöriger des Deutschen Reiches“ siehe auch: Deutsche Volksliste

Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.04.1943

Dreizehnte Verordnung vom 1. Juli 1943

Durch die „Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurden die Juden der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen; strafbare Handlungen von Juden wurden fortan durch die Polizei geahndet. Die wenigen legal im Reich verbliebenen Juden, meist im unsicheren Schutz einer „Mischehe“ überlebend, waren der Willkür der Gestapo ausgeliefert. Nach dem Tode eines Juden verfiel sein Vermögen dem Reich.

Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 01.07.1943

Aufhebung des Gesetzes und Nichtigkeit

Das Reichsbürgergesetz wurde zusammen mit seinen Verordnungen durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 in Deutschland aufgehoben.

In der Republik Österreich wurde es im Staatsgesetzblatt vom 6. Juni 1945 rückwirkend als zum 10. April 1945 außer Kraft getreten bekanntgemacht.

Das Bundesverfassungsgericht formulierte 1968 folgende Leitsätze: „Nationalsozialistischen ‚Rechts‘vorschriften kann die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. In der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl. I S. 772) hat der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muß.“ Zu den fundamentalen Rechtsprinzipien gehört das Willkürverbot, das heute in Art. 3 Abs. 1 GG verankert ist.




Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht

Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Rechtvom 20. September 1945

in Kraft getreten am 20. September 1945

für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch
Erstes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956 (BGBl. I. S. 437),
jedoch ohne die Wirkung der Wiederauflebung der aufgehobenen Gesetze

für die DDR außer Wirkung gesetzt durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955

Der Kontrollrat verfügt das folgende:

Art. I. 1. Folgende Gesetze politischer Natur oder Ausnahmegesetze, auf welche das Nazi-Regime beruhte, werden hierdurch ausdrücklich aufgehoben, einschließlich aller zusätzlichen Gesetze, Durchführungsbestimmungen, Verordnungen und Erlasse:
a) Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, RGBl. I/41,
b) Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. I/175,
c) Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934, RGBl. I/341,
d) Gesetz zum Schutze der nationalen Symbole vom 19 Mai, 1933, RGBl. I/285,
e) Gesetz gegen die Bildung von Parteien vom 14 Juli 1933, RGBl. I/479,
f) Gesetz über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933, RGB1. 1/479,
g) Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1 Dezember 1933, RGBl. I/479,
h) Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniform vom 20 Dezember, 1934, RGB1. 1/1269,
j) Reichsflaggengesetz vom 15. September, 1935, RGBl. I/1145,
k) Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, vom 15. September 1935, RGBl. I/1146,
l) Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, RGBl. I/1146,
m) Preußisches Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 10 Februar 1936, G.S. 21,
n) Gesetz über die Hitler-Jugend vom 1.Dezember, 1936, RGBl. I/933,
o) Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22. April 1938, RGBl. I/404,
p) Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26 April 1938, RGBl. I/414,
q) Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6 Juli, 1938, RGBl. I/823,
r) Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17 August 1938, RGB1. I/1044,
s) Verordnung Reisepässe von Juden vom 5. Oktober 1938, RGBl. I/1342,
t) Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938, RGBl. I/1580,
u) Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit vom 28 November 1938, RGBl. I/1676,
v) Verordnung den Nachweis deutschblütiger Abstammung vom 1. August 1940, RGBl. I/1063,
w) Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941, RGBl. I/547,
x) Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober, 1941, RGBl. I/675,
y) Erlaß des Führers über die Rechtsstellung der NSDAP vom 12 Dezember 1942, RGBl. I/733,
z) Polizeiverordnung über die Kenntlichmachung der im Reich befindlichen Ostarbeiter und -arbeiterinnen vom 19 Juni 1944, RGBl. I/147.

2. Die Aufhebung der oben erwähnten Gesetze setzt kein Gesetz in Kraft, das nach dem 30. Januar 1933 erlassen und das durch die oben erwähnten Gesetze aufgehoben worden ist.

Art. II. Keine deutsche Gesetzesverfügung, gleichgültig wie oder zu welcher Zeit erlassen, darf gerichtlich oder verwaltungsmäßig zur Anwendung gebracht werden in irgendwelchen Fällen, in denen ihre Anwendung Ungerechtigkeit oder ungleiche Behandlung verursachen würde, entweder dadurch, daß
a) irgend jemand auf Grund seiner Verbindung mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, ihren Formationen, angegliederten Verbindungen oder Organisationen begünstigt Vorteile genießen würde;
b) irgend jemand auf Grund seiner Rasse, Staatsangehörigkeit, seines Glaubens oder seiner Opposition zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Lehren, Nachteile erleiden würde.

Art. III. Wer irgendwelche durch dieses Gesetz aufgehobenen Gesetze anwendet oder anzuwenden versucht, setzt sich strafrechtlicher Verfolgung aus.

    Ausgefertigt in Berlin, den 20 September 1945

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieses Befehls wurden von B. L. Montgomery, Feldmarschall, L. Koeltz, Armeekorps-General, V. D. Sokolovsky, General der Armee und Dwight D. Eisenhower, General der Armee genehmigt.)

Insbesondere die Aufhebung des Ermächtigungsgesetzes von 1933 (Artikel I. 1a) beinhaltet faktisch, daß die Weimarer Reichsverfassung (als Grundlage für das Ermächtigungsgesetz) auch nach Ansicht der Alliierten weiter gültig war, aber durch die vierseitigen Verträge bis 1990 überlagert war.

Leider haben sich die Alliierten nicht dazu durchringen können, auf den Gesetzgebungsstand vom 29. Januar 1933 zurückzukehren.


Quellen: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 6
Dokumente des geteilten Deutschland Band 1 (Kröner 391)

Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 01.07.1943

Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz.Vom 1. Juli 1943.Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146) wird folgendes verordnet:

§ 1.

(1) Strafbare Handlungen von Juden werden durch die Polizei geahndet.
(2) Die Polenstrafrechtsverordnung vom 4. Dezember 1941 (Reichsgesetzbl. I S. 759) gilt nicht mehr für Juden.

§ 2.

(1) Nach dem Tode eines Juden verfällt sein Vermögen dem Reich.
(2) Das Reich kann jedoch den nichtjüdischen Erbberechtigten und Unterhaltsberechtigten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, einen Ausgleich gewähren.
(3) Der Ausgleich kann durch einen Kapitalbetrag gewährt werden. Er darf die Höhe des Verkaufswertes des in die Verfügungsgewalt des Deutschen Reichs übergegangenen Vermögens nicht übersteigen.
(4) Der Ausgleich kann durch Überlassung von Sachen und Rechten aus dem übernommenen Vermögen gewährt werden. Für die hierfür erforderlichen Rechtshandlungen werden Gerichtsgebühren nicht erhoben.

§ 3.

Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit den beteiligten Obersten Reichsbehörden die zur Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Hierbei bestimmt er, inwieweit diese Verordnung für Juden ausländischer Staatsangehörigkeit gilt.

§ 4.

Diese Verordnung tritt am siebenten Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Im Protektorat Böhmen und Mähren gilt sie für den Bereich der deutschen Verwaltung und der deutschen Gerichtsbarkeit; § 2 findet auch auf protektoratsangehörige Juden Anwendung.
Berlin, den 1. Juli 1943.

Der Reichsminister des Innern
FrickDer Leiter der Partei-Kanzlei
M. BormannDer Reichsminister der Finanzen
Graf Schwerin von KrosigkDer Reichsminister der Justiz
Dr. Thierack




Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.04.1943

Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 25. April 1943

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

§ 1. (1) Die Staatsangehörigkeit kann widerruflich zuerkannt werden. Die Staatsangehörigkeit auf Widerruf bilden eine besondere Gruppe der Staatsangehörigen.

(2) Außer den Staatsangehörigen gibt es Schutzangehörige des Deutschen Reichs; ein Schutzangehöriger kann nicht zugleich Staatsangehöriger sein.

§ 2. Staatsangehörige auf Widerruf sind diejenigen Personen, denen die Staatsangehörigkeit auf Widerruf durch allgemeine Anordnung oder durch Entscheidung im Einzelfall zuerkannt ist oder zuerkannt wird.

§ 3. Schutzangehörige des Deutschen Reichs sind solche nicht zum deutschen Volk gehörenden Einwohner des  Deutschen Reichs, denen die Schutzangehörigkeit durch allgemeine Anordnung oder durch Entscheidung im Einzelfall zuerkannt wird.

§ 4. (1) Juden und Zigeuner können nicht Staatsangehörige werden. sie können nicht Staatsangehöriger auf Widerruf oder Schutzangehörige sein.

(2) Jüdische Mischlinge ersten Grades gelten auch dann als Juden, wenn sie die Staatsangehörigkeit nicht besitzen, aber auf sie die sonstigen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 (RGBl. I. S. 1333) zutreffen.

§ 5. Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit dem Leiter der Partei-Kanzlei und dem Reichsführer SS, Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, die zur Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.

siehe hierzu die Verordnung über die Staatsangehörigkeit auf Widerruf vom 25. April 1943 (RGBl. I. S. 269) und die Erste Verordnung über die Schutzangehörigkeit des Deutschen Reichs vom 25. April 1943 (RGBl. I. S. 271).

§ 6. Die Verordnung gilt auch im Protektorat Böhmen und Mähren.

    Berlin, den 25. April 1943

Der Reichsminister des Innern
Frick

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1943 S, 268
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944




Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.11.1941

Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 25. November 1941

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

§ 1. Ein Jude, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann nicht deutscher Staatsangehöriger sein. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland ist dann gegeben, wenn sich ein Jude im Ausland unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt.

§ 2. Ein Jude verliert die deutsche Staatsangehörigkeit
a) wenn er beim Inkrafttreten dieser Verordnung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, mit dem Inkrafttreten der Verordnung,
b) wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt später im Ausland nimmt, mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland.

§ 3. (1) Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich. Dem Reich verfällt ferner das Vermögen der Juden, die bei dem Inkrafttreten dieser Verordnung staatenlos sind und zuletzt die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben oder nehmen.

(2) Das verfallene Vermögen soll zur Förderung aller mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehende Zwecke dienen.

§ 4. (1) Personen, deren Vermögen gemäß § 3 dem Reich verfallen ist, können von einem deutschen Staatsangehörigen nichts von Todes wegen erwerben.

(2) Schenkungen von deutschen Staatsangehörigen an Personen, deren Vermögen gemäß § 3 dem Reich verfallen ist, sind verboten. Wer dem Verbot zuwider eine Schenkung vornimmt oder verspricht wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

§ 5. (1) Das Deutsche Reich haftet für Schulden eines Juden, dessen Vermögen dem Reich verfällt, nur bis zur Höhe des Verkaufswerts derjenigen Sachen und Rechte dieses Juden, die in die Verfügungsgewalt des Reichs gelangt sind. Die Haftung besteht nicht für Schäden, deren Erfüllung durch das Reich dem Volksempfinden widersprechen würde.

(2) Rechte an den auf das Deutsche Reich übergegangenen Gegenstände bleiben bestehen.

(3) Im Falle der Überschuldung findet auf Antrag des Reichsministers der Finanzen oder eines Gläubigers über das auf das Deutsche Reich übergegangene Vermögen das Konkursverfahren nach der Konkursordnung statt. Der Konkursverwalter (Masse-Verwalter) ist mit Zustimmung des Oberfinanzpräsidenten Berlin zu bestellen und auf sein Verlangen abzuberufen.

§ 6.  (1) Ist ein Jude, dessen Vermögen gemäß § 3 dem Reich verfällt, auf Grund gesetzlicher Vorschrift oder auf Grund einer Vereinbarung verpflichtet, einem Dritten Unterhalt zu gewähren, so haftet das reich nicht für die Unterhaltsansprüche, die nach dem Verfall des Vermögens fällig werden. Das Reich kann jedoch den nichtjüdischen Unterhaltsberechtigten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, einen Ausgleich gewähren.

(2) Der Ausgleich kann durch einen Kapitalbetrag gewährt werden. Er darf die Höhe des Verkaufswerts des in die Verfügungsgewalt des Deutschen Reichs übergegangenen Vermögens nicht übersteigen.

(3) Der Ausgleich kann durch Überlassung von Sachen und Rechten aus dem übernommenen Vermögen gewährt werden. Für die hierfür erforderlichen Rechtshandlungen werden Gerichtsgebühren nicht erhoben.

§ 7. (1) Alle Personen, die eine zu dem verfallenen Vermögen gehörige Sache im Besitz haben oder zu der Vermögensmasse etwas schuldig sind, haben den Besitz der Sache oder das Bestehen der Schuld dem Oberfinanzpräsidenten Berlin innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt des Vermögensverfalls (§ 3) anzuzeigen. Wer dieser Anzeigepflicht vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Forderungen gegen das verfallene Vermögen sind innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt des Vermögensverfalls (§ 3) bei dem Oberfinanzpräsidenten Berlin anzumelden. Die Befriedigung von Forderungen, die nach Ablauf der Frist geltend gemacht werden, kann ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden.

§ 8. (1) Die Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Vermögensverfall vorliegen, trifft der Chef der Sicherheitspolizei und des SD.

(2) Die Verwaltung und Verwertung des verfallenen Vermögens liegt dem Oberfinanzpräsidenten Berlin ob.

amtlich: SD= Sicherheitsdienst des Reichsführers SS.

§ 9. (1) Soweit die Grundbücher durch den Verfall unrichtig geworden sind, sind sie auf Ersuchen des Oberfinanzpräsidenten Berlin gebührenfrei zu berichtigen.

(2) Zur Eintragung des Verfalls einer Hypothek, über die ein Brief erteilt ist, sowie zur Eintragung des Ausschlusses der Erteilung des Hypothekenbriefes bedarf es der Vorlegung des Briefes nicht. Wird der Brief vorgelegt, so hat das Grundbuchamt ihn dem Oberfinanzpräsidenten Berlin auszuhändigen, sofern er nicht nach den allgemeinen Vorschriften bei den Grundakten verbleibt.

(3) Wenn eine Hypothek, über die ein Brief erteilt ist, dem Reich verfallen ist, kann der Oberfinanzpräsident Berlin die Erteilung eines neuen Briefes an Stelle des bisherigen Briefes beantragen, wenn er erklärt, daß der bisherige Brief nicht zu erlangen ist. Das Grundbuchamt hat vor Erteilung des neuen Briefes geeignete Ermittlungen nach dem bisherigen Brief anzustellen. Mit Erteilung des neuen Briefes wird der alte Brief kraftlos. Das Kraftloswerden des alten und die Erteilung des neuen Briefes ist einmal im Deutschen Reichsanzeiger bekanntzumachen. Die Erteilung des neuen Briefes ist gebührenfrei.

(4) Das Grundbuchamt kann den Besitzer des alten Briefes zur Vorlegung anhalten.

(5) Bei Briefhypotheken, die dem Reich verfallen sind, sind die an den Brief anknüpfenden Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten nur anzuwenden, wenn ein Rechtsgeschäft im Gebiet des Großdeutschen Reichs vorgenommen wird und der Brief sich im Gebiet des Großdeutschen Reichs befindet.

(6) Das Reich kann nach billigem Ermessen eine Entschädigung gewähren, wen niemand einen Schaden dadurch erleidet, daß er nach Eintragung des Verfalls (Abs. 2) ohne grobe Fahrlässigkeit auf den noch im Verkehr befindlichen unberechtigten Brief vertraut. Ansprüche auf Grund allgemeiner Vorschriften werden hierdurch nicht berührt.

(7) Die Vorschriften der Abs. 2 bis 6 gelten entsprechend für Grund- und Rentenschulden, über die ein Brief erteilt ist.

§ 10. (1) Versorgungsansprüche von solchen Juden, die gemäß § 2 die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, erlöschen mit dem Ablauf des Monats, in dem der Verlust der Staatsangehörigkeit eintritt.

(2) Soweit in den Versorgungsgesetzen vorgesehen ist, daß Angehörigen im Falle des Todes des Versorgungsberechtigten Witwengeld, Waisengeld, Unterhaltungsbeitrag oder ähnliche Bezüge gewährt werden, kann diesen Angehörigen solange sie sich im Inland aufhalten, vom Zeitpunkt des Wegfalls der Versorgungsbezüge gemäß Abs. 1 ab ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden. Der Unterhaltsbeitrag kann an nichtjüdische Angehörige bis zur Höhe der entsprechenden Hinterbliebenversorgung, an jüdische Angehörige bis zur Hälfte dieser Bezüge bewilligt werden. Kinderzuschläge werden nur an nichtjüdische Versorgungsempfänger gewährt.

§ 11. Um Härten zu vermeiden, die aus dem Vermögensverfall entstehen, kann der Reichsminister der Finanzen eine von den Vorschriften der §§ 3 bis 7, § 9 abweichende Regelung treffen. Das gilt auch für Fälle, in denen das Vermögen auf Grund des § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I. S. 480) für verfallen erklärt worden ist oder in Zukunft für verfallen erklärt wird.

§ 12. Diese Verordnung gilt auch im Protektorat Böhmen und Mähren und in den eingegliederten Ostgebieten.

§ 13. Die zur Ergänzung und Durchführung erforderlichen Bestimmungen erläßt der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Leiter der Partei-Kanzlei und den sonst beteiligten Reichsministern.

    Berlin,  den 25. November 1941,

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Leiter der Parteikanzlei
M. Bormann

Der Reichsminister der Finanzen
In Vertretung
Reinhardt

Der Reichsminister der Justiz
in Vertretung
Dr. Schlegelberger

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1941 S. 722
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944

Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 04.07.1939

Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 4. Juli 1939

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

Artikel I.
Reichsvereinigung der Juden

§ 1. (1) Die Juden werden in einer Reichsvereinigung zusammengeschlossen.

(2) Die Reichsvereinigung ist ein rechtsfähiger Verein. Sie führt den Namen “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” und hat ihren Sitz in Berlin.

(3) Die Reichsvereinigungen bedient sich als örtlicher Zweigstellen der jüdischen Kulturvereinigungen.

§ 2. (1) Die Reichsvereinigung hat den Zweck, die Auswanderung der Juden zu fördern.

(2) Die Reichsvereinigung ist außerdem
1. Träger des jüdischen Schulwesens,
2. Träger der freien jüdischen Wohlfahrtspflege.

(3) Der Reichsminister des Innern kann der Reichsvereinigung weitere Aufgaben übertragen.

§ 3. (1) Der Reichsvereinigung gehören alle staatsangehörigen und staatenlosen Juden an, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Reichsgebiet haben.

(2) Im Falle einer Mischehe ist der jüdische Teil nur Mitglied,
a) wenn der Mann der jüdische teil ist und Abkömmlinge aus der Ehe nicht vorhanden sind oder
b) wenn die Abkömmlinge als Juden gelten.

(3) Juden fremder Staatsangehörigkeit und den in einer Mischehe lebenden Juden, die nicht bereits nach Abs. 2 Mitglieder sind, ist der Beitritt zur Reichsvereinigung freigestellt.

§ 4. Die Reichsvereinigung untersteht der Aufsicht des Reichsminister des Innern; ihre Satzung bedarf seiner Genehmigung.

§ 5. (1) Der Reichsminister des Innern kann jüdische Vereine, Organisationen und Stiftungen auflösen oder ihre Eingliederung in die Reichsvereinigung anordnen.

(2) Im Falle der Auflösung gelten für die Liquidation die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Der Reichsminister des Innern kann jedoch Liquidatoren bestellen und abberufen und die Art der Liquidation abweichend von den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts regeln. Nach Durchführung der Liquidation ist das Vermögen der aufgelösten jüdischen Einrichtungen auf die Reichsvereinigung zu übertragen.

(3) Im Falle der Eingliederung fällt das Vermögen der betroffenen jüdischen Einrichtungen an die Reichsvereinigung. Eine Liquidation findet in diesen Fällen nicht statt. Für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Einrichtungen haftet die Reichsvereinigung mit ihrem gesamten Vermögen.

(4) Der Reichsminister des Innern kann Satzungsbestimmungen und Beschlüsse der jüdischen Vereine, Organisationen und Stiftungen aufgeben und ändern, wenn sie über die Verwendung des Vermögens von diesen Vorschriften abweichende Bestimmungen getroffen haben. Juden, die auf Grund der nachträglich aufgehobenen Satzungsbestimmungen oder Beschlüsse etwas erlangt haben, sind der Reichsvereinigung zur Herausgabe nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.

Artikel II.
Jüdisches Schulwesen.

§ 6. (1) Die Reichsvereinigung der Juden ist verpflichtet, für die Beschulung der Juden zu sorgen.

(2) Zu diesem Zwecke hat die Reichsvereinigung die notwendige Zahl von Volksschulen zu errichten und zu unterhalten. Sie kann außerdem Mittel- und höhere Schulen sowie Berufs- und Fachschulen und sonstige Schulen oder Unterrichtskurse unterhalten, die der Auswanderung der Juden förderlich sind.

(3) Die Reichsvereinigung hat für die Ausbildung und Fortbildung der Lehrer der von ihr unterhaltenen Schulen zu sorgen.

(4) Die von der Reichsvereinigung unterhaltenen Schulen sind Privatschulen.

§ 7. Juden dürfen nur Schulen besuchen, die von der Reichsvereinigung unterhalten werden. Sie sind nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften über die Schulpflicht zum Besuch dieser Schulen verpflichtet.

§ 8. (1) Die bestehenden öffentlichen und privaten jüdischen Schulen, Einrichtungen der jüdischen Lehrerbildung und sonstigen jüdischen Erziehungseinrichtungen werden aufgelöst, wenn die Reichsvereinigung sie bis zu einem vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern zu bestimmenden Termin nicht übernimmt.

(2) Vermögen von Juden, das für den Betrieb der jüdischen Schuleinrichtungen benutzt worden ist, ist der Reichsvereinigung auf Anforderung gegen angemessene Entschädigung zu überlassen. Über die Berechtigung der Anforderung solchen Vermögens für den Betrieb der jüdischen Schuleinrichtungen und über die Höhe der Entschädigung entscheidet in Zweifelsfällen die Schulaufsichtsbehörde unter Ausschluß des Rechtswegs.

§ 9. Die im Beamtenverhältnis stehenden Lehrkräfte der jüdischen Schulen treten mit dem Ablauf des 30. Juni 1939 in den Ruhestand. Sie sind verpflichtet, eine ihnen von der Reichsvereinigung der Juden angebotene Beschäftigung an einer jüdischen Schule anzunehmen. Andernfalls verlieren sie den Anspruch auf Ruhegehalt.

§ 10. Die Vorschriften des Reichs- und Landesrechts über die Beschuldung von Juden, insbesondere über die Zulassung von Juden zum Schulbesuch, über die Einrichtung und Unterhaltung öffentlicher jüdischer Schulen sowie über die Bereitstellung öffentlicher Mittel für Zwecke des jüdischen Religionsunterrichts, treten außer Kraft.

§ 11. Das jüdische Schulwesen untersteht der Aufsicht des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

Artikel III.
Jüdische Wohlfahrtspflege.

§ 12. Die Reichsvereinigung hat als Träger der jüdischen freien Wohlfahrtspflege (§ 35a Abs. 1 Satz 1 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. August 1931 (RGBl. I, S. 439), in der Fassung der Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden vom 19. November 1938 (RGBl. I. S. 1649) nach Maßgabe ihrer Mittel hilfsbedürftige Juden so ausreichend zu unterstützen, daß die öffentliche Fürsorge nicht einzutreten braucht. Sie hat Vorsorge zu treffen, daß für anstaltspflegebedürftige Juden ausschließlich für sie bestimmte Anstalten zur Verfügung stehen.

Artikel IV.
Schlußbestimmungen.

§ 13. Eine Entschädigung für Nachteile, die durch die Durchführung dieser Verordnung entstehen, wird nicht gewährt.

§ 14. (1) Der Reichsminister des Innern erläßt die zur Durchführung der Verordnung erforderlichen Vorschriften.

(2) Soweit das jüdische Schulwesen betroffen wird, werden die Vorschriften von dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern erlassen. Das gleiche gilt für Maßnahmen auf Grund des § 5, wenn die betroffene jüdische Einrichtung zum Geschäftsbereich des Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gehört.

§ 15. Die Inkraftsetzung dieser Verordnung für die Ostmark bleibt vorbehalten.

    Berlin, den 4. Juli 1939

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Stellvertreter des Führers
R Heß

Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
Rust

Der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten
Kerrl

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1939 S. 1097
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944




Achte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 17.01.1939

Achte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 17. Januar 1939

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

§ 1. Bestallungen (Approbationen, Diplome) jüdischer Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker erlöschen am 31. Januar 1939.

§ 2. (1) Juden ist die Ausübung der Heilkunde einschließlich der Zahnheilkunde und der Tierheilkunde verboten.

(2) Juden, die zu den Hilfskräften in der Gesundheitspflege (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der Krankenpflege vom 28. September 1938 – RGBl. I. S. 1309) zählen, dürfen ihre Berufstätigkeit nur an Juden oder in jüdischen Anstalten ausüben.

(3) Juden ist die berufsmäßige Ausübung der Tiergesundheitspflege verboten.

§ 3. (1) Der Reichsminister des Innern oder die von ihm ermächtigte Stelle kann Zahnärzten, deren Approbation auf Grund des § 1 erloschen ist, die Ausübung ihres Berufs widerruflich gestatten. Die Genehmigung kann unter Auflagen erteilt werden.

(2) Abs. 1 gilt entsprechend für Dentisten im Sinne des § 123 der Reichsversicherungsordnung und Zahntechniker im Sinne des österreichischen Zahntechnikergesetzes (StGBl. Nr. 326/1920).

§ 4. Ein Jude, dem eine Genehmigung nach § 3 erteilt ist, darf, abgesehen von seiner Frau und seinen ehelichen Kindern, nur Juden behandeln.

§ 5. (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig den Bestimmungen im § 2 Abs. 1 oder § 4 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

(2) Zuwiderhandlungen gegen § 2 Abs. 2 oder § 3 werden mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark bestraft.

§ 6. Dienstverträge, die ein von § 1 oder § 2 betroffener Jude als Dienstberechtigter geschlossen hat, können von beiden Teilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von vier Wochen für den 28. Februar 1939 auch dann gekündigt werden, wenn nach den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen die Auflösung des Dienstverhältnisses erst zu einem späteren Zeitpunkt zulässig wäre. Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen, wonach eine Kündigung des Dienstvertrags schon zu einem früheren Zeitpunkt zulässig ist, bleiben unberührt.

§ 7. (1) Auf die Kündigung des Mietverhältnisses über Räume, die ein durch § 1 oder § 2 betroffener Jude für sich, seine Familie oder seine Berufsausübung gemietet hat, finden die Vorschriften des Gesetzes über das Kündigungsrecht der durch das Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums betroffenen Personen vom 7. April 1933 (RGBl. I. S. 187), im Lande Österreich die Vorschriften des § 13 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 (RGBl. I. S. 607) entsprechende Anwendung. Die Kündigung muß für den 28. Februar 1939 erfolgen und dem Vermieter spätestens am 31. Januar 1939 zugehen.

(2) Die Vorschriften es Abs. 1 gelten entsprechend für Dienstverpflichtete der von § 1 oder § 2 Betroffenen, wenn sie infolge des Erlöschens der Bestallung oder Approbation des Dienstberechtigten oder des Verbots der Berufsausübung stellungslos geworden sind.

§ 8. Die Vorschriften der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 (RGBl. I. S. 696) bleiben unberührt.

    Berlin, den 17. Januar 1939

Der Reichsminister des Innern
In Vertretung
Pfundtner

Der Stellvertreter des Führers
R. Heß

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1939 S. 47
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944




Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 27.09.1938

Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 27. September 1938

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

Artikel I.
Ausscheiden der Juden aus der Rechtsanwaltschaft

§ 1. Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen. Soweit Juden noch Rechtsanwälte sind, scheiden sie nach Maßgabe der folgenden Vorschriften aus der Rechtsanwaltschaft aus.
a) Im alten Reichsgebiet:
Die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte ist zum 30. November 1938 zurückzunehmen.
b) Im Lande Österreich:
1. Jüdische Rechtsanwälte sind spätestens bis zum 31. Dezember 1938 auf Verfügung des Reichsministers der Justiz in der Liste der Rechtsanwälte zu löschen.
2. Bei Juden, die in der Liste der Rechtsanwaltskammer in Wien eingetragen sind, kann jedoch, wenn ihre Familie seit mindestens fünfzig Jahren im Lande Österreich ansässig ist und wenn sie Frontkämpfer sind, von der Löschung vorläufig abgesehen werden. Den Zeitpunkt der Löschung bestimmt in diesem Falle der Reichsminister der Justiz.
3. Bis zur Entscheidung darüber, ob eine Löschung in der Rechtsanwaltsliste erfolgt, kann der Reichsminister der Justiz dem Rechtsanwalt die Ausübung seines Berufs vorläufig untersagen.

§ 2. (1) Dienstverträge, die ein nach dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidender Jude als Dienstberechtigter geschlossen hatte, können von beiden Teilen unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum ende eines Kalendermonats auch dann gekündigt werden, wenn gesetzlich oder vertraglich eine längere Frist bestimmt oder das Dienstverhältnis für bestimmte Zeit eingegangen war.

(2) Die Kündigung nach Abs. 1 kann
a) im alten Reichsgebiet
nur zum 28. Februar 1939,
b) im Lande Österreich
nur für den ersten Termin erklärt werden, für den sie nach dem Zeitpunkt erfolgen kann, an dem der frühere Rechtsanwalt oder sein Angestellter (Dienstnehmer) von der Löschung in der Rechtsanwaltsliste Kenntnis erhält.

(3) Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen über eine kürzere als die im Abs. 1 vorgesehene Kündigungsfrist bleiben unberührt.

§ 3. (1) Wer auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidet, kann ein Mietverhältnis über Räume, die er für sich oder seine Familie gemietet hat, trotz entgegenstehender Vereinbarungen über die Dauer des Mietvertrages oder die Kündigungsfrist mit Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen. Das gleiche gilt für Angestellte (Dienstnehmer) eines Rechtsanwalts, die dadurch stellungslos werden, daß der Rechtsanwalt auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidet.

(2) Eine Kündigung nach Abs. 1 kann durch den Rechtsanwalt
a) im alten Reichsgebiet
nur zu dem ersten Termin erfolgen, zu dem sie nach dem 30. November 1938 zulässig ist,
b) im Lande Österreich
nur zu dem ersten Termin erfolgen, zu dem sie nach dem Zeitpunkt zulässig ist, in dem dem Rechtsanwalt die Löschung in der Rechtsanwaltsliste mitgeteilt wird.

(3) Der Angestellte (Dienstnehmer) kann eine Kündigung nach Abs. 1 nur zu dem ersten Termin aussprechen, für den die Kündigung nach Beendigung des Dienstverhältnisses zulässig ist.

(4) Im übrigen gelten für die Kündigung
a) im alten Reichsgebiet
die Vorschriften des § 6 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 (RGBl. I. S. 188),
b) im Lande Österreich
die Vorschriften des § 13 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 (RGBl. I. S. 607)
sinngemäß.

§ 4. a) Die Besorgung der Rechtsangelegenheiten ist dem auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden nach Maßgabe des Artikels 1 § 8 des Gesetzes zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I. S. 1478) untersagt.
b) Im Lande Österreich gilt bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung folgendes:
1. Wer auf Grund dieser Verordnung in der Liste der Rechtsanwälte gelöscht ist, darf fremde Rechtsangelegenheiten nicht mehr geschäftsmäßig besorgen; insbesondere ist ihm die gerichtliche oder außergerichtliche Vertretung, die Rechtsberatung und die Einziehung von Forderungen seiner Auftraggeber nicht gestattet.
2. Gerichte oder sonstige Behörden dürfen dem früheren Rechtsanwalt die Verwaltung oder Verwertung fremden Vermögens nicht übertragen. Ist im ein Auftrag dieser Art bereits erteilt, so hat die Stelle, die ihn ernannt hat, den Auftrag zu widerrufen; sie hat einem anderen Rechtsanwalt oder einer sonstigen geeigneten Person den Auftrag zu übertragen, soweit dies zur Verhütung von Rechtsnachteilen für die Beteiligten oder aus einem sonstigen Grunde erforderlich erscheint.
3. Die Vorschriften der Nrn. 1 und 2 gelten nicht für die Wahrnehmung von eigenen Angelegenheiten des früheren Rechtsanwalts und von Angelegenheiten seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Kinder, soweit nicht Anwaltzwang besteht.
4. Wer den Vorschriften der Nr. 1 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft.
5. Für die Dauer einer vorläufigen Untersagung der Berufsausübung gelten die Vorschriften der Nrn. 1 bis 4 sinngemäß.

§ 5. Den auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden können, soweit sie Frontkämpfer sind, aus den Einnahmen der jüdischen Konsulenten (§ 14) bei Bedürftigkeit und Würdigkeit jederzeit widerrufliche Unterhaltszuschüsse gewährt werden. Nach Maßgabe der eingehenden Beträge können unter den gleichen Voraussetzungen auch anderen auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden, soweit sie seit dem 1. August 1914 in der Rechtsanwaltsliste eingetragen waren, Unterhaltszuschüsse dieser Art gewährt werden.

§ 6. (1) Frontkämpfer im Sinne dieser Verordnung ist, wer im Weltkrieg (in der Zeit vom 1. August 1914 bis 31. Dezember 1918) auf Seiten des Deutschen Reichs oder seiner Verbündeten bei der fechtenden Truppe an einer Schlacht, einem Gefecht, einem Stellungskampf oder einer Belagerung teilgenommen hat. Es genügt nicht, wenn sich jemand ohne vor den Feind gekommen zu sein, während des Krieges aus dienstlichem Anlaß im Kriegsgebiet aufgehalten hat.

(2) Der Teilnahme an den Kämpften des Weltkriegs steht die Teilnahme an den Kämpfen gleich, die nach ihm im Baltikum, ferner gegen die Feinde der nationalen Erhebung und zur Erhaltung deutschen Bodens geführt worden sind.

Artikel II.
Löschung der Juden in den Listen der Rechtsanwaltsanwärter und der Verteidiger im Lande Österreich

§ 7. (1) Juden werden in die Listen der Rechtsanwaltsanwärter und der Verteidiger in Strafsachen nicht mehr eingetragen. Soweit Juden in diesen Listen noch eingetragen sind, werden sie spätestens bis zum 31. Dezember 1938 auf Verfügung des Reichsministers der Justiz gelöscht.

(2) Die Vorschriften des Artikels I § 1 Buchstabe b Nr. 3, §§ 2 bis 4 dieser Verordnung gelten sinngemäß.

Artikel III.
Rechtliche Beratung und Vertretung von Juden

§ 8. Zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden läßt die Justizverwaltung jüdische Konsulenten zu.

§ 9. (1) Jüdische Konsulenten werden nur zugelassen, soweit ein Bedürfnis besteht.

(2) Die Zulassung erfolgt auf Widerruf. Zum Zwecke der Stellvertretung eine zugelassenen jüdischen Konsulenten kann die Zulassung auch auf Zeit erfolgen.

(3) Die jüdischen Konsulenten und ihre Stellvertreter sollen, soweit angängig, aus der Zahl der nach § 1 dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedener Juden entnommen werden; Frontkämpfer sind nach Möglichkeit bevorzugt zu berücksichtigen.

§ 10. Jüdische Konsulenten dürfen nur Rechtsangelegenheiten von Juden sowie von jüdischen Gewerbebetrieben, jüdischen Vereinen, Stiftungen, Anstalten und sonstigen jüdischen Unternehmen geschäftsmäßig besorgen; insbesondere dürfen sie nur für diese die rechtliche Beratung, die gerichtliche oder außergerichtliche Vertretung sowie die Einziehung von Forderungen übernehmen.

§ 11. (1) Den jüdischen Konsulenten wird ein bestimmter Ort für ihre berufliche Niederlassung zugewiesen. Die Unterhaltung von Zweigniederlassungen, auswärtigen Sprechtagen oder ähnliche ständigen Einrichtungen an einem anderen Ort erfolgt nach näherer Bestimmung der Justizverwaltung.

(2) Soweit die jüdischen Konsulenten Rechtsangelegenheiten besorgen dürfen, können sie in einem von der Justizverwaltung zu bestimmenden Bezirk vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden sowie vor allen diesen übergeordneten Gerichten und Behörden auftreten und als Bevollmächtigte . auch gegenüber den Gegnern ihrer Auftraggeber – tätig werden. Dies gilt auch insoweit, als Rechtsanwälte in einem Verfahren nur tätig werden dürfen, wenn sie bei dem Gericht, vor dem das Verfahren schwebt, zugelassen sind; soweit sonstige einschränkende Vorschriften bestehen, gelten diese sinngemäß.

(3) Im übrigen unterliegt die Berufstätigkeit der jüdischen Konsulenten keinen örtlichen Beschränkungen.

§ 12. Jüdische Konsulenten können im Armenrecht, als Notvertreter (entsprechend § 38 der Reichs-Rechtsanwaltsordnung) oder als Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Soweit verfahrensrechtliche Vorschriften, insbesondere § 91 Abs. 2, § 104 Abs. 2, §§ 135, 198, 212a der Reichs-Zivilprozeßordnung für Rechtsanwälte Vereinfachungen und sonstige Besonderheiten vorsehen, gelten sie für jüdische Konsulenten sinngemäß.

§ 13. Die jüdischen Konsulenten unterstehen der Aufsicht der Justizverwaltung.

§ 14. (1) Von ihren Auftraggebern erheben die jüdischen Konsulenten im eigenen Namen, jedoch für Rechnung einer vom Reichsminister der Justiz zu bestimmenden Ausgleichsstelle Gebühren und Auslagen nach Maßgabe der für Rechtsanwälte geltenden reichs- und landesrechtlichen Vorschriften. Von dem kostenpflichtigen Gegner des jüdischen Auftraggebers sind diese Beträge in gleicher Weise wie die Kosten eines Rechtsanwalts zu erstatten.

(2) Den jüdischen Konsulenten verbleibt als Vergütung für ihre Berufstätigkeit und als Entschädigung für Kanzleikosten – neben der Erstattung der notwendigen baren Aufwendungen für Reisen u. dgl. – ein Anteil an den aus ihrer Berufstätigkeit anfallenden Gebühren.

(3) Aus den der Ausgleichsstelle zufließenden Beträgen werden die nach § 5 dieser Verordnung zu leistenden Unterhaltszuschüsse gezahlt.

(4) Nähere Bestimmungen können durch allgemeine Verwaltungsanordnungen getroffen werden.

Artikel IV.
Schluß- und Übergangsvorschriften.

§ 15. (1) Wird in einer bürgerlichen Rechtssache einer Partei durch eine auf Grund dieser Verordnung getroffene Maßnahme unfähig, die Vertretung der Partei fortzuführen, so werden auch Verfahren, in denen eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, unterbrochen.

(2) Eine Unterbrechung des Verfahrens tritt jedoch nicht ein, wenn der Rechtsanwalt gleichzeitig mit seinem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltschaft als jüdischer Konsulent zugelassen wird und als solcher seinen Auftraggeber weiterhin vertreten darf.

§ 16. Einer Partei, die in einer bürgerlichen Rechtssache oder in einer Strafsache einen Termin (eine Tagsatzung) oder eine befristete Prozeßhandlung versäumt, ist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch die auf Grund dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen am rechtzeitigen Erscheinen zu dem Termin (der Tagsatzung) oder an der rechtzeitigen Vornahme der Prozeßhandlung verhindert worden ist.

§ 17. (1) Tritt in der Besorgung einer Rechtsangelegenheit wegen des Ausscheidens eines Juden aus der Rechtsanwaltschaft auf Grund dieser Verordnung ein Wechsel des Vertreters ein, so ist der kostenpflichtige Gegner des Auftraggebers des bisherigen jüdischen Rechtsanwalts zur Erstattung der durch den Vertreterwechsel entstehenden Mehrkosten nicht verpflichtet.

(2) Übernimmt ein jüdischer Konsulent eine bisher von einem jüdischen Rechtsanwalt besorgte Rechtsangelegenheit, so hat er seinem Auftraggeber die dem jüdischen Rechtsanwalt geschuldeten Gebühren gutzubringen. Der jüdische Konsulent und der frühere jüdische Rechtsanwalt haben im Wege gütlicher Vereinbarung einen Ausgleich über die dem früheren Rechtsanwalt angefallenen Gebühren herbeizuführen, wenn dies nach dem Umfang der von beiden in der Rechtssache geleisteten Arbeit der Billigkeit entspricht. Kommt eine Einigung nicht zustande, so kann auf Antrag eines Beteiligten über den Ausgleich im Verwaltungswege entschieden werden.

§ 18. Für ein Verfahren , das gegen einen Juden vor einem anwaltlichen Ehrengericht in dem Zeitpunkt anhängig ist, zu dem er nach dieser Verordnung aus der Anwaltschaft ausscheidet, gelten die Bestimmungen des § 2 der Verordnung zur Ergänzung der Vorschriften über das ehrengerichtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte vom 31. August 1937 (RGBl. I. S. 919) sinngemäß.

§ 19. Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, die zur Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, soweit der Reichsminister der Finanzen beteiligt ist, ergehen sie im Einvernehmen mit diesem.

siehe hierzu die Durchführungsverordnung vom 12. Juni 1940 (RGBl. I. S. 872)

galt nicht für das Sudetenland.

    Berlin, den 27. September 1938.

Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Stellvertreter des Führers
R. Heß

Der Reichsminister der Finanzen
In Vertretung
Reinhardt




Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.07.1938

Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 25. Juli 1938

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

§ 1. Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938,

§ 2. Der Reichsminister des Innern oder die von ihm ermächtigte Stelle kann auf Vorschlag der Reichsärztekammer Ärzten, deren Bestallung auf Grund des § 1 erloschen ist, die Ausübung des Ärzteberufes widerruflich zu gestatten. Die Genehmigung kann unter Auflagen erteilt werden.

§ 3. (1) Juden, deren Bestallung (Approbation) erloschen und denen eine Genehmigung nach § 2 nicht erteilt ist, ist es verboten, die Heilkunde auszuüben.

(2) Ein Jude, dem eine Genehmigung nach § 2 erteilt ist, darf, abgesehen von seiner Frau und seinen ehelichen Kindern, nur Juden behandeln.

(3) Wer vorsätzlich oder fahrlässig den Bestimmungen im Abs. 1 oder 2 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

§ 4. Die Bestallung als Arzt kann einem Juden nicht erteilt werden.

§ 5. (1) Ärzten, deren Bestallung (Approbation) nach den Bestimmungen dieser Verordnung erloschen ist, kann bei Bedürftigkeit und Würdigkeit von der Reichsärztekammer ein jederzeit widerruflicher Unterhaltszuschuß gewährt werden, wenn sie Frontkämpfer gewesen sind.

(2) Das Nähere bestimmt die Reichsärztekammer im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und dem Reichsminister der Finanzen.

§ 6. Dienstverträge, die ein von § 1 betroffener jüdischer Arzt als Dienstberechtigter geschlossen hat, können von beiden Teilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen für den 31. Dezember 1938 auch dann gekündigt werden, wenn nach den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen die Auflösung des Dienstverhältnisses erst zu einem späteren Zeitpunkt zulässig wäre. Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen, wonach eine Kündigung des Dienstvertrags schon zu einem früheren Zeitpunkt zulässig ist, bleiben unberührt.

§ 7. (1) Auf die Kündigung von Mietverhältnissen über Räume, die ein durch § 1 betroffener jüdischer Arzt für sich, seine Familie oder für seine Berufsausübung gemietet hat, finden die Vorschriften des Gesetzes über das Kündigungsrecht der durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums betroffenen Personen vom 7. April 1933 (RGBl. I. S. 187), im Lande Österreich die Vorschriften des § 13 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 (RGBl. I. S. 607) entsprechende Anwendung. Die Kündigung muß für den 30. September 1938 erfolgen und dem Vermieter spätestens am 15. August 1938 zugehen. Ein Widerspruch des Vermieters gegen die Kündigung ist unzulässig, wenn dem Vermieter durch die Reichsärztekammer oder die von ihr bestimmte Stelle ein anderer ärztlicher Mieter nachgewiesen wird.

(2) Der Vermieter kann das Mietverhältnis unter den gleichen Voraussetzungen innerhalb der gleichen Frist kündigen. Dem Mieter steht ein Widerspruchsrecht nicht zu.

(3) Die Vorschriften des Abs. 1 Satz 1 gelten entsprechend für Dienstverpflichtete von jüdischen Ärzten, wenn sei infolge des Erlöschens der Bestallung (Approbation) des Dienstberechtigten stellungslos geworden sind.

(4) Der Reichsminister des Innern wird ermächtigt, in Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz durch Verordnung Bestimmungen über die Auflösung von Mietverhältnissen über die im Abs. 1 genannten Räumlichkeiten zu treffen.

§ 8. Der Reichsminister des Innern wird ermächtigt, die Reichsärzteordnung vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I. S. 1433) durch Bekanntmachung entsprechend abzuändern.

    Bayreuth, den 25. Juli 1938

Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Stellvertreter des Führers
R. Heß

Der Reichminister der Justiz
Dr. Gürtner

Der Reichsminister der Finanzen
In Vertretung
Reinhardt

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1938 I. S. 969
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944




Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 14.06.1938

Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

vom 14. Juni 1938

aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:

Artikel I.

§ 1. (1) Ein Gewerbebetrieb gilt als jüdisch, wenn der Inhaber Jude (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 – RGBl. I. S. 1333) ist.

(2) Der Gewerbebetrieb einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft gilt als jüdisch, wenn ein oder mehrere persönlich haftende Gesellschafter Juden sind.

(3) Der Gewerbebetrieb einer juristischen Person gilt als jüdisch,
a) wenn ein oder mehrere von den zur gesetzlichen Vertretung berufenen Personen oder eines oder mehrere von den Mitgliedern des Aufsichtsrats Juden sind,
b) wenn Juden nach Kapital oder Stimmrecht entscheidend beteiligt sind. Entscheidende Beteiligung nach Kapital ist gegeben, wenn mehr als ein Viertel des Kapitals Juden gehört; entscheidende Beteiligung nach Stimmrecht ist gegeben, wenn die Stimmen der Juden die Hälfte der Gesamtstimmenzahl erreichen.

(4) Die Vorschriften des Abs. 3 gelten entsprechend für bergrechtliche Gesellschaften, die keine Rechtsfähigkeit besitzen.

§ 2. Wenn bei einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien am 1. Januar 1938 kein Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates Jude war, so wird vermutet, daß Juden nach Kapital oder Stimmrecht nicht entscheidend beteiligt (§ 1 Abs. 3 Buchstabe b) sind. Die gegenteilige Vermutung gilt, wenn an dem genannten Tage ein oder mehrere Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates Juden waren.

§ 3. Ein Gewerbebetrieb gilt auch dann als jüdisch, wenn er tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluß von Juden steht.

§ 4. (1) Die Zweigniederlassung eines jüdischen Gewerbebetriebs gilt als jüdischer Gewerbebetrieb.

(2) Die Zweigniederlassung eines nichtjüdischen Gewerbebetriebs gilt als jüdischer Gewerbebetrieb, wenn der Leiter oder einer von mehreren Leitern der Zweigniederlassung Jude ist.

§ 5. Der Reichswirtschaftsminister kann mit Wirkung bis 1. April 1940 von der Vorschrift des § 1 Abs. 3 Buchstabe a Ausnahmen bewilligen.

§ 6. Die Vorschriften der §§ 1, 3 und 4 finden auf Vereine, Stiftungen, Anstalten und sonstige Unternehmen, die nicht Gewerbebetriebe sind, entsprechende Anwendung.

Artikel II.

§ 7. (1) Die jüdischen Gewerbebetriebe werden in ein Verzeichnis eingetragen. Der Reichsminister des Innern bestimmt die Behörden, bei denen das Verzeichnis geführt wird.

(2) Die Eintragung von Gewerbebetrieben, an denen Juden fremder Staatsangehörigkeit beteiligt sind, bedarf der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers.

§ 8. (1) Die Eintragung in das Verzeichnis wird von der Behörde (§ 7) verfügt.

(2) Die Verfügung ist dem Inhaber des Gewerbebetriebs zuzustellen. Er kann binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde einlegen.

§ 9. (1) Die Verfügungsbehörde (§ 8) kann der Beschwerde abhelfen; will sie ihr nicht abhelfen, so hat sie die Sache der höheren Verwaltungsbehörde zur Entscheidung vorzulegen.

(2) Die höhere Verwaltungsbehörde entscheidet auch in sonstigen Zweifelsfällen.

(3) Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde steht dem Inhaber des Gewerbebetriebs binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung die weitere Beschwerde an den Reichswirtschaftsminister zu.

§ 10. (1) Die Beschwerde (§ 8 Abs. 2, § 9 Abs. 3) ist bei der Behörde, deren Entscheidung angefochten wird, schriftlich einzulegen und zu begründen.

(2) Bei unverschuldeter Versäumung der Beschwerdefrist kann die Einlegung der Beschwerde nachgeholt werden.

§ 11. Die Eintragung eines Gewerbebetriebs in das Verzeichnis wird vollzogen, wenn die Verfügung, den Gewerbebetrieb einzutragen, unanfechtbar geworden ist.

§ 12. Fallen die Voraussetzungen, die zur Eintragung geführt haben, weg. so wird der Gewerbebetrieb in dem Verzeichnis gelöscht. Behauptet der Inhaber des Gewerbebetriebs den Wegfall der Voraussetzungen und wird sein Antrag auf Löschung abgelehnt, so finden die Vorschriften über die Beschwerde (§ 8 Abs. 2, § 9, § 10) Anwendung.

§ 13. Im Lande Österreich treten an die Stelle der vorstehenden Verfahrensvorschriften die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (ÖBGBl. Nr. 274/1925). Die Beschwerden nach § 8 Abs. 2, § 9 und § 12 gelten als Berufungen.

§ 14. Die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde oder des Reichswirtschaftsministers kann auch von dem zuständigen Gauleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beantragt werden.

§ 15. Die Einsicht in das Verzeichnis ist jedermann gestattet.

§ 16. Listen oder Zusammenstellungen jüdischer oder nichtjüdischer Gewerbebetriebe dürfen nur nach Maßgabe des amtlichen Verzeichnisses angefertigt werden.

Artikel III.

§ 17. Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und dem Stellvertreter des Führers anzuordnen, daß Gewerbebetriebe, die in dem Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe eingetragen sind, von einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab ein besonders Kennzeichen führen müssen.

    Berlin, den 14. Juni 1938

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Stellvertreter des Führers
R. Heß

Der Reichswirtschaftsminister
Walther Funk

Der Reichminister der Justiz
Dr. Gürtner

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1938 I. S. 627
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944