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Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre [“Nürnberger Gesetze”], 15. September 1935, und die beiden ersten Ausführungsbestimmungen, 14. November 1935

Zusammenfassung

Die sogenannten “Nürnberger Gesetze” vom 15. September 1935, proklamiert am Ende des jährlich in Nürnberg abgehaltenen NSDAP-Parteitages, bildeten die juristische Grundlage der innerstaatlichen Ausgrenzung aller Deutschen, die fortan unter den Judenbegriff fielen. Das “REICHSBüRGERGESETZ” beendete die staatsrechtliche Gleichheit der deutschen Bürger, indem es zwei neue – de facto nie umgesetzte Kategorien schuf: den “Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes” (“deutschblütig”) sowie den “Reichsbürger”, dem allein die vollen politischen Rechte zustehen würden. Das “Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” setzte – unausgesprochen – die Zivilehe außer Kraft, und zwar durch die indirekte Einführung eines jüdischen Personenstandes, auf dem das Verbot von Eheschließung sowie außerehelicher Sexualität (“Rassenschande”) mit “Deutschblütigen” basierte. Über das Verbot für Juden, die Reichsflagge zu zeigen, war das “Blutschutzgesetz” mit dem zeitgleich verkündeten “Reichsflaggengesetz” verbunden. Erst die beiden Verordnungen vom 14. November 1935 reichten einen Gesetzesinhalt nach, der das ungeheuerliche Rassenrecht in bürokratische Praxis ‘übersetzte’: Die 1. Verordnung zum “REICHSBüRGERGESETZ” kodifizierte einen genealogisch abgeleiteten, graduellen Judenbegriff (§ 5). “Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt”, “jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt” (§ 2). Der Beweis des “Volljüdischen” für die Klassifizierung als “Jude” lief über die jüdische Religion der Großelternteile, unbeachtet der Tatsache, ob die betroffene Person Jude, Christ oder Atheist war. Bei der Einstufung als “jüdischer Mischling” dagegen waren faktische Kriterien ausschlaggebend, sofern er “ersten Grades” war (sog. “Halbjude”, d. h. “zwei … volljüdische Großeltern”): Gehörte er der “jüdischen Religionsgemeinschaft” an oder war er mit einem “Juden” verheiratet oder durch “Rassenschande” gezeugt worden, galt für ihn ebenfalls der Judenbegriff (sog. “Geltungsjude”). Da “Juden” nicht “Reichsbürger” werden durften, waren sie politisch entrechtet, insbesondere war ihnen die Ausübung eines “öffentlichen Amtes” untersagt (§ 4). Die Forderung des NSDAP-Parteiprogramms von 1920, den “Juden” die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wurde allerdings am 14. November 1935 nicht umgesetzt.

Die 1. Verordnung zum “Blutschutzgesetz” bestimmte die Reichweite des neuen Ehehindernisses im Hinblick auf die zukünftige Generation. Für die “jüdischen Mischlinge”, die insgesamt wie die “Deutschblütigen” zu den (potentiellen) “Reichsbürgern” gehörten, wurden zwischen Verbot, Sollvorschrift und Möglichkeit changierende Heiratsvorschriften formuliert, eben um den juristischen Unterschied zum elementaren Eheverbot zwischen “Deutschblütigen” und “Juden” zu erhalten. Das Projekt einer räumlichen “Lösung der Judenfrage” enthielten die “Nürnberger Gesetze” sowie ihre Folge-Verordnungen nicht.

Übersicht zu den Reichsbürgergesetzen, die von der BRD mit der Gründung angenommen wurden.

Das Reichsbürgergesetz brach mit der Rechtsgleichheit der deutschen Bürger; es unterschied zwischen dem vollberechtigten „Reichsbürger“, dem allein die vollen politischen Rechte zustehen, und dem ‚einfachen‘ Staatsangehörigen:

  • Ein Staatsangehöriger gehört dem Schutzverband des Deutschen Reiches an und ist diesem „besonders verpflichtet“.
  • Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der vollen politischen Rechte „nach Maßgabe der Gesetze“. Dieser muss Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein (objektiver Maßstab). Er muss überdies durch sein Verhalten beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“ (subjektiver Maßstab). Das „Reichsbürgerrecht“ sollte durch einen Reichsbürgerbrief verliehen (verschriftlicht) werden.

Die Rechtssetzung auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung differenzierte allerdings zwischen 1935 und 1943 noch weiter, so dass es zum Zeitpunkt der Aufhebung des Reichsbürgergesetzes 1945 fünf verschiedene Kategorien gab:

  1. Reichsbürger (und damit gleichzeitig Staatsangehörige),
  2. (einfache) Staatsangehörige,
  3. Staatsbürger auf Widerruf,
  4. Schutzangehörige des Deutschen Reiches (fremdvölkische Einwohner der eingegliederten Gebiete, z. B. Protektoratsangehörige),
  5. ohne Rechtsstatus (z. B. Juden und „Zigeuner“ in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten).

Reichsbürgergesetz

Erste Verordnung vom 14. November 1935

Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935: „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“

In der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz (Text siehe Weblink) wird allen deutschblütigen Staatsangehörigen bis zu einer angekündigten endgültigen Regelung – zu der es niemals kam – eine vorläufige Reichsbürgerschaft zuerkannt. Auch „jüdischen Mischlingen“ wurden vorerst die politischen Rechte als Reichsbürger eingeräumt.

In dieser Verordnung wurde grundlegend festgelegt, wer im Deutschen Reich als Jude beziehungsweise als „jüdischer Mischling“ zu gelten hatte. Mangels eines nachweisbaren Merkmals wurde die Religionszugehörigkeit der Vorfahren zum Kriterium herangezogen, um jemanden einer vermeintlich existierenden „jüdischen Rasse“ zuzurechnen:

  • „Juden“ („Volljuden“) waren Personen, von deren Großeltern drei oder vier „der Rasse nachjüdisch waren.
  • Als „jüdischer Mischling“ wurde bezeichnet, „wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammt“, aber keine weitere Bindung an das Judentum hatte.

Um zu bestimmen, ob die Großeltern „der Rasse nach“ Juden waren, hätte man auf die Generation der Urgroßeltern zurückgreifen müssen, was in der Praxis zu einem kaum durchführbaren Erforschungsaufwand geführt hätte. Daher galt ein Großelternteil ohne Weiteres als „volljüdisch“, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Dies konnte bedeuten, dass ein „deutschblütiger“ Großelternteil, der in eine jüdische Familie eingeheiratet und sich der jüdischen Kultusgemeinde angeschlossen hatte, im Ariernachweis „der Rasse nach“ als Jude zählte.

Als Jude galt auch eine Person, die „der Rasse nach“ zwei jüdische Großeltern hatte und

  • der jüdischen Religionsgemeinschaft noch angehörte oder von ihr nach Erlass des Gesetzes aufgenommen wird;
  • mit einem Juden verheiratet war oder nach Erlass des Gesetzes einen Juden heiratet;
  • aus einer Ehe mit einem Juden stammte, die nach dem 15. September 1935 geschlossen wurde, oder
  • ein von einem Juden abstammendes außereheliches Kind war, welches nach dem 31. Juli 1936 geboren wurde.

„Jüdische Mischlinge“, die durch diese zusätzlichen Merkmale als „Volljuden“ galten, wurden auch als „Geltungsjuden“ bezeichnet.

Da für die Eigenschaft als Jude nun doch nichtrassische Merkmale, wie das religiöse Bekenntnis der Großeltern, das eigene religiöse Bekenntnis oder rechtsgeschäftliche Willenserklärungen, (mit) maßgeblich waren, war die Verordnung selbst für diejenigen widersprüchlich, die sich auf den Boden der NS-Weltanschauung stellten. Ferner war in dieser Verordnung festgelegt, dass alle „Juden“ im Sinne dieser Definition zum 31. Dezember 1935 als Beamte in den Ruhestand traten. Bis dahin hatten nach einer Ausnahmebestimmung in § 3 Absatz 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ein unerwartet hoher Teil der „Nichtarier“ im Beamtenstatus verbleiben können, die sich auf das Frontkämpferprivileg berufen konnten.

Als notwendige Folge, dass „Juden“ niemals Reichsbürger sein können (§ 4 Abs. 1 der Verordnung), mussten nach Absatz 2 alle jüdischen Beamten zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand treten.

Drei weitere Verordnungen beziehen sich auf die „Erste Verordnung“ und ändern oder ergänzen diese lediglich um einen Punkt. Die „Zweite Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1935) definiert umfassend, welche Personengruppen in den Ruhestand zu versetzen waren. Mit der „Siebenten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1938) wurden die Bestimmungen der Ersten Reichsbürgerverordnung aufgehoben, nach denen in den Ruhestand getretene jüdische Beamte bis zum Erreichen der Altersgrenze die vollen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge beziehungsweise das Wartegeld erhielten. Gleichzeitig wurden diese Ruhestandsbezüge reduziert. In der „Neunten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ (1939) wurde „jüdischen Mischlingen“ aus der Ostmark zugestanden, dass sie nicht mit einem Juden verheiratet seien, wenn die Eheleute nach dem österreichischen Ehegesetz vom 6. Juli 1938 bis zur Bekanntmachung des Reichsbürgergesetzes nur von Tisch und Bett ohne Auflösung des Ehebandes getrennt waren und sich seitdem nicht wieder verheiratet hatten.

Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 14.11.1935

Zweite Verordnung vom 21. Dezember 1935

Die Zweite Verordnung stellt in erster Linie eine Konkretisierung des § 4 der Ersten Verordnung dar. Neu ist, dass § 4 Abs. 1 der Ersten Verordnung auch für die Stellung als leitender Arzt an öffentlichen sowie freien gemeinnützigen Krankenanstalten und als Vertrauensarzt galt. Sie traten zum 31. Dezember 1936 in den Ruhestand.

Diese Verordnung wurde in Österreich nicht kundgemacht. An ihre Stelle trat dort die Verordnung zur Neuordnung des Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938.

Dritte Verordnung vom 14. Juni 1938

In einer „Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurde definiert, welche Gewerbebetriebe als „jüdisch“ zu gelten hatten. Diese sollten in ein gesondertes Verzeichnis eingetragen werden, das der Öffentlichkeit zugänglich war. Der Reichswirtschaftsminister wurde zu einer Regelung im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und dem Stellvertreter des Führers ermächtigt, dass Betriebe von „einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab“ ein besonderes Kennzeichen führen mussten.

Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 14.06.1938

Vierte Verordnung vom 25. Juli 1938

Nach dem Erlass der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten mit Wirkung vom 30. September 1938 an die Approbation entzogen. Ebenso konnte kein Jude mehr eine Approbation erhalten. Dienstverträge mit jüdischen Ärzten waren zum 31. Dezember 1938 kündbar, auch wenn dieses erst für später vorgesehen oder möglich war. Mietverträge über Räume, die der Arzt für sich, seine Familie oder für seine Berufsausübung gemietet hatte, waren ebenfalls zum 30. September 1938 aufzulösen.

Von den 3.152 noch praktizierenden jüdischen Ärzten erhielten auf der Grundlage dieser Verordnung 709 eine „widerrufliche Genehmigung“, als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten tätig zu sein. Damit waren von den 1933 rund 9.000 praktizierenden jüdischen Ärzten nur noch weniger als zehn Prozent zugelassen. Mindestens 5.000 emigrierten, etwa 1.500 wurden deportiert.

Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.07.1938

Fünfte Verordnung vom 27. September 1938

Durch die „Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 27. September 1938 wurde jüdischen Rechtsanwälten, die gemäß einer Ausnahmeregelung im Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach 1933 noch weiter tätig sein durften, im Altreich zum 30. November 1938 und im Lande Österreich zum 31. Dezember 1938 die Zulassung entzogen. Lediglich bei in Wien zugelassenen Rechtsanwälten, die seit mindestens 50 Jahren in Österreich ansässig und ehemalige Frontkämpfer waren, konnte von der Löschung vorläufig abgesehen werden. Jedoch war diese Löschung jederzeit möglich und bis dahin bestand die Möglichkeit des Verbots der Berufsausübung. Die Verordnung regelte die Kündigung von Dienst- und Mietverträgen, die damit im Zusammenhang standen.

Eine rechtsberatende Tätigkeit war jüdischen Juristen bereits seit 1935 untersagt. Zur Vertretung und rechtlichen Beratung jüdischer Klienten wurden 1938 einige „Konsulenten“ zugelassen. Von den derweil noch zugelassenen 1.753 jüdischen Rechtsanwälten durften nur 172 als Konsulenten tätig sein. Diese Tätigkeit war auf Widerruf oder auf Zeit befristet und die Konsulenten unterstanden der Aufsicht der Justizverwaltung.

Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 27.09.1938

Sechste Verordnung vom 31. Oktober 1938

Mit der „Sechsten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 31. Oktober 1938 wurde Juden die Betätigung als Patentanwalt untersagt. Die Verordnung regelte ebenfalls die Kündigung von Dienst- und Mietverträgen, die damit im Zusammenhang standen.

Siebente Verordnung vom 5. Dezember 1938

Die noch auf der Grundlage des „Frontkämpferprivilegs“ fortgezahlten vollen Bezüge der auf Grund der Ersten Verordnung in den Ruhestand versetzten Beamten wurden durch diese Verordnung ab dem 1. Januar 1939 auf das allgemeine Ruhegehalt eingekürzt.

Die siebte Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde in der Ostmark zwar kundgemacht, war aber nicht anzuwenden.

Achte Verordnung vom 17. Januar 1939

Durch die „Achte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 17. Januar 1939 wurde jüdischen Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern die Berufsausübung mit Wirkung vom 31. Januar 1939 verboten, womit das gesamte Feld der Heilkunde nunmehr Juden verschlossen war. Lediglich als Hilfskräfte für eine Tätigkeit an Juden oder an jüdischen Krankenanstalten durften sie weiter tätig sein. Wenige Zahnärzte und Dentisten bzw. Zahntechniker, denen die weitere Ausübung des Berufes widerruflich gestattet wurde, durften Ehefrau, Kinder und ansonsten nur Juden behandeln. Auch diese Verordnung regelte zusätzlich die Kündigung von entsprechenden Dienst- und Mietverträgen.

Neunte Verordnung vom 5. Mai 1939

In der „Neunten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 5. Mai 1939 wurde „jüdischen Mischlingen“ aus der Ostmark zugebilligt, dass sie nicht mit einem Juden verheiratet seien, wenn die Ehe bis zur Bekanntmachung des Reichsbürgergesetzes (16. September 1935) entsprechend dem geltenden österreichischen Eherecht nicht dem Bande nach getrennt werden konnte, sondern nur von Tisch und Bett geschieden war, sofern keine neuerliche Ehe eingegangen wurde.

Zehnte Verordnung vom 4. Juli 1939

Einschneidende Veränderung brachte die „Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“. Sie begründete die Zwangsmitgliedschaft in der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, die als verlängerter Arm des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) wirkte und später bei der Durchführung der Deportationen eine unrühmliche Helferrolle spielte.

Die Reichsvereinigung hatte die Auswanderung zu fördern und musste eine Vermögensabgabe erheben, um mittellosen Auswanderern ein Vorzeigegeld aushändigen zu können. Die Reichsvereinigung war des Weiteren verpflichtet, für die Beschulung der Juden zu sorgen. Als Träger der jüdischen Wohlfahrtspflege hatte sie hilfsbedürftige Juden so ausreichend zu unterstützen, dass die öffentliche Fürsorge nicht einzutreten brauchte. Dies war aus Beiträgen und Spenden der verarmten und überalterten jüdischen Gemeinde zu finanzieren; ab 1941 steuerte das RSHA Finanzmittel aus beschlagnahmtem Vermögen der deportierten Juden bei.

Die zehnte Verordnung wurde in der Ostmark nicht kundgemacht.

Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 04.07.1939

Elfte Verordnung vom 25. November 1941

Ein Jude verlor nunmehr „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörigkeit. Dies bedeutete, dass auf diese Weise allen bereits ins Ausland übersiedelten deutschen Juden – nachträglich – ihre Staatsangehörigkeit entzogen wurde, was ca. 250.000 bis 280.000 emigrierte Juden betraf. Die Verordnung bestimmte aber auch, dass dies für spätere Wohnsitzverlegungen gelte. Nachdem auf Befehl Heinrich Himmlers am 18. Oktober 1941 den Juden die Auswanderung verboten worden war, entsprach dies nur noch dem Vorgang der Deportation.

Offensichtlich hatte die „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ für die Arisierung (Entjudung) auch den Zweck, bei der anstehenden Deportation der deutschen Juden den verbliebenen Rest ihres Vermögens an den NS-Staat zu bringen, ohne eine vordem übliche Einzelfallentscheidung durchführen zu müssen: „Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich. […] Das verfallene Vermögen soll zur Förderung aller mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehenden Zwecke dienen.“ Auch Vererbungen und Schenkungen wurden verboten. Sofern auf diesem Vermögen allerdings Verbindlichkeiten wie Unterhaltsansprüche, Schulden und Ähnliches lagen, wurden diese vom Reich nicht übernommen und wurden auch nicht teilweise durch den Wert des entzogenen Vermögens ausgeglichen.

Da viele Deportationszüge ins Generalgouvernement, ins Reichskommissariat Ostland oder das Reichskommissariat Ukraine führen sollten, die reichsrechtlich nicht als Ausland galten, wurden diese Zielgebiete durch Runderlass des Reichsministers des Innern vom 3. Dezember 1941 als „Ausland im Sinne der Elften Verordnung“ eingestuft.

Vor diesem Datum wurde eine Einzelfallentscheidung als förmlicher Verwaltungsakt durchgeführt, der später nur noch für staatenlose Juden und bei Deportationen ins „Altersghetto Theresienstadt“ in Anwendung kam: Diesen Juden wurde im Sammellager durch einen Gerichtsvollzieher eine Urkunde zugestellt, nach der ihr gesamtes Eigentum als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ eingezogen wurde. Aus dem in einer derartigen Verfügung benannten bereits 1933 erlassenen Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens und einem Erlass vom 29. Mai 1941 lassen sich allerdings weder vom Wortlaut noch vom Wortsinn her eine Begründung für den Vermögensentzug ableiten.

Der Unrechtsgehalt der Elften Verordnung ist „ohne weiteres offensichtlich“: Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit nach erfolgter Deportation, Verlust des Vermögens und das Ruhen von Pensionsansprüchen. Nach Beurteilung von Uwe Dietrich Adam schaffte diese Verordnung jedoch „kein umwälzendes neues ‚Recht‘“, sondern normierte beim Griff nach dem jüdischen Vermögen nur die faktisch bestehende Lage und stellte somit eine Verwaltungsvereinfachung dar. Die im Reich lebenden Juden blieben – entgegen den ursprünglichen Planungen – von den Bestimmungen über den Vermögensverfall verschont.

Nach Art. 116 Abs. 2 GG werden Personen, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden war, auf ihren Antrag wieder eingebürgert. Das Bundesverfassungsgericht erachtete im Beschluss vom 14. Februar 1968 die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz als unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit und sah sie als von Anfang an nichtig an.

Die aus der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz resultierende de jure-Staatenlosigkeit wird als gänzlich unstrittig angesehen. Juden, die gegen Kriegsende aus einem der im Ausland gelegenen Konzentrations- oder Vernichtungslager befreit wurden, erfüllten die Voraussetzungen einer staatenlosen Displaced Person.

Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.11.1941

Zwölfte Verordnung vom 25. April 1943

Mit der „Zwölften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurden eine deutsche „Staatsangehörigkeit auf Widerruf“ und ein Rechtsstatus „Schutzangehöriger des Deutschen Reiches“ eingeführt. Es gab damit vier Kategorien mit unterschiedlichem Rechtsstatus:

  1. Reichsbürger
  2. Staatsangehöriger
  3. Staatsangehöriger auf Widerruf
  4. Schutzanghörige, die nicht Staatsangehörige sein konnten

Zigeuner“ und Juden (auch „Halbjuden“) konnten weder Staatsangehörige auf Widerruf noch Schutzangehörige sein bzw. werden. Das betraf faktisch Kinder von Juden oder Zigeunern, die nach dem 30. April 1943, dem Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung, geboren wurden. Entgegen gelegentlich in der Literatur zu findenden Behauptungen verloren Juden oder „Zigeuner“, die die deutsche Staatsangehörigkeit noch besaßen, diese durch die 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz nicht.

Zu „Staatsangehörigkeit auf Widerruf“ und „Schutzangehöriger des Deutschen Reiches“ siehe auch: Deutsche Volksliste

Zwölfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 25.04.1943

Dreizehnte Verordnung vom 1. Juli 1943

Durch die „Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurden die Juden der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen; strafbare Handlungen von Juden wurden fortan durch die Polizei geahndet. Die wenigen legal im Reich verbliebenen Juden, meist im unsicheren Schutz einer „Mischehe“ überlebend, waren der Willkür der Gestapo ausgeliefert. Nach dem Tode eines Juden verfiel sein Vermögen dem Reich.

Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 01.07.1943

Aufhebung des Gesetzes und Nichtigkeit

Das Reichsbürgergesetz wurde zusammen mit seinen Verordnungen durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 in Deutschland aufgehoben.

In der Republik Österreich wurde es im Staatsgesetzblatt vom 6. Juni 1945 rückwirkend als zum 10. April 1945 außer Kraft getreten bekanntgemacht.

Das Bundesverfassungsgericht formulierte 1968 folgende Leitsätze: „Nationalsozialistischen ‚Rechts‘vorschriften kann die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. In der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl. I S. 772) hat der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muß.“ Zu den fundamentalen Rechtsprinzipien gehört das Willkürverbot, das heute in Art. 3 Abs. 1 GG verankert ist.

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